Liebe Lydia, Charlotte, Emilia, Lou, Samantha, Isolde, lieber Felix und Elias, Ihr habt in diesem Jahr das Fliegen gelernt. Ja, unsere Zeit in der Kirche hat Euch hoffentlich dem Himmel nähergebracht. Glaube ist wie fliegen. Wer auch nur etwas von Jesus Christus und seiner göttlichen Energie kennenlernt, in der Liturgie, im Abendmahl, in den Geschichten der Bibel, im Gebet, in der Gemeinschaft, der kriecht nicht mehr auf dem Boden herum. Der spürt etwas davon, gehalten und getragen zu sein. Hat etwas erfahren von dem Leben im Glauben mit Höhe und Weite. Der kann von sich sagen: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16, 13, Jahreslosung von 2023)
Fliegen wie eine Taube, wie ein Adler, ja wie ein Condor: Zu meiner Konfirmation spielte damals der Organist, der noch Schüler war, die damals bekannteste Melodie: El Condor Pasa. Das heißt, der Condor fliegt. Simon and Garfunkel, so hieß die Gruppe, sie hatte damit einen Welthit gelandet. Es war ein altes Lied aus den Anden, diesem großen Gebirge in Südamerika. Mit diesem Lied konnte man wunderbar in Gedanken fliegen. Ja, ich stellte mir vor, wie ich selber flog, mitten in meiner Konfirmation. Mein Konfirmationspastor predigte und ich hob ab. (anspielen: El Condor Pasa)
Fliegen wie ein Condor, mit weiten Armen, mit klarem Blick, gutem Schwung, emporgehoben aus allem, was einen runterzieht und beschwert. So hat es Hagar erlebt, sie ist es, die spürt: Ich habe einen Gott, der mich sieht. Ihre Lage war aussichtslos. Als junge Angestellte in die vertrackte Familiengeschichte anderer reingezogen, von dem verheirateten Mann schwanger, von seiner Frau gedemütigt, rennt sie in die Wüste. Dort findet sie der Engel Gottes. Der redet ihr gut zu, macht ihr Mut, erzählt, was Gott mit ihr noch vorhat, wofür sie bestimmt ist. Sie empfindet sich plötzlich wieder im aktiven Leben, im Flug durch die Zeit, und spricht: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Fliegen wie ein Condor, das geht nur mit Gott. Im Fliegen gehalten werden, allein durch den Blick Gottes. Er hält mich, hebt mich empor, holt mich runter, mit ihm schwinge ich durchs Leben. Gottes Blick zu mir ist nur für mich bestimmt, ihn sehen die anderen nicht. Glaube ist immer etwas Persönliches. Gott erfahre ich für mich. Wenn er mich sieht, bin ich angenommen, egal wie andere mich sehen. Das ist ganz anders als bei Menschen, die nach meinem Aussehen schauen, was ich anhabe, wie ich rede oder ob ich gesund bin oder jung oder alt. Im Blick Gottes bin ich immer sein geliebtes Geschöpf. Er hebt mein Herz, er lässt mich fliegen wie ein Condor, mit ihm fliege ich ins Leben.
Im Kloster Loccum, über 800 Jahre alt, gibt es auf einer Säule im Kreuzgang ein kleines Bild. Da ist ein Adler abgebildet, der ein Junges in seinen Krallen hält, beim Fliegen. Es ist alt genug, jetzt selber zu fliegen. Hoch wird er in die Lüfte schwingen, und dann das Junge loslassen. Es wird erst taumeln, wird sich erschrecken. Aber dann wird es merken, ich kann fliegen. Fliegen ohne in den Fängen anderer zu sein, kann eigene Ziele ansteuern. Kann mich anfreunden, zu zweit durchs Leben ziehen. Kann landen, wo ich wohne, ein Nest bauen, kann selber Junge aufziehen, bin in der freien Natur der einzigartigen Schöpfung Gottes zuhause, eingebunden in die Jahreszeiten.
Klar, wir können nicht fliegen. Sind nicht perfekt. Leben nur auf Zeit. Wir gehen auf der Erde. So wie ihr hier in die Kirche eingezogen seid. Doch schon im ersten Gesang heben wir ab, bleiben ganz unten und sind doch dem Himmel nahe. Glauben ist ganz unten gehen und ganz oben fliegen, beides zugleich. Ist Leben in allem Wahnsinn der Welt, bedroht, verfolgt, reingelegt, und doch von Gott gesehen und gehalten. Wir fliegen in seinem Blick, fliegen mit Freundlichkeit zu den Menschen, sind engagiert, wollen etwas erreichen, und zugleich friedfertig, um Ausgleich bemüht. Gehalten vom Himmel, von den Geboten, standhaft, andere schützend, hilfsbereit, machen beim Bösen nicht mit. Fliegen mit Gott ist wunderbar. Fliegen ist Leben im Glauben mit Höhe und Weite, Fliegen wie der Condor.
Nie, niemals vergesst es, liebe Gemeinde, diese hier vorne sind unendlich viel wert! Erzählt ihnen, wenn sie traurig sind, wie der Engel der Hagar von Gott und seinem Fliegen. Helft mit, andere zum Fliegen zu bringen! Denn immer sollt ihr gehalten sein, Ihr fliegt mit Gott durchs Leben. Immer ist das Leben unendlich viel wert, ist jetzt schon der Anfang vom ewigen Leben. Steht immer wieder mit auf, Auferstehung, zweimal habt ihr die Osterkerze hineingetragen, in die Friedenskirche und hier in die Christuskirche.
Gott sieht dich, und du fliegst mit ihm wunderbar durch dein Leben. Durch die Zeiten und Stunden, mit den Menschen, die zu dir gehören, hier auf Erden, mit deinem Engagement für Menschlichkeit, mit Musik und Kirche und Gemeinschaft und Glauben. Du bleibst in Bewegung, hast Zukunft. El Condor Pasa, der Condor fliegt, so geht das Fliegen mit Gott, der dich sieht und hält und segnet und ins Leben sendet, lieber Elias und Felix, liebe Isolde, Samantha, Lou, Emilia, Charlotte und Lydia, Amen.